Vincent Kompany wollte die Frage nach dem schier unwiderstehlichen Reiz der Premier League für Fußballprofis lieber auf Englisch beantworten – und brauchte dafür nur ein einziges Wort. «Money», sagte der Trainer des FC Bayern achselzuckend. Mit ihrer riesigen Finanzpower haben die englischen Clubs in diesem Transfer-Sommer etliche Millionen in die Bundesliga gepumpt – aber eben auch für einen großen sportlichen Aderlass gesorgt.
Rund um den sogenannten «Deadline Day» am Montag beschäftigte Fußball-Deutschland daher die Frage: Ist die Bundesliga nur noch eine «Farmers League» – also eine Art Ausbildungsliga – für die Premier League? Zumindest spüren die Club-Verantwortlichen eine zunehmende Machtlosigkeit im aufgeheizten Transfermarkt. Englands gigantischer TV-Vertrag, das Investorenkapital und die milliardenschwere Auslands-Vermarktung sorgen für einen scheinbar uneinholbaren Vorsprung. Die Lösungsansätze sind teils pragmatisch, teils schwer umsetzbar – und teils hochexplosiv.
«Wenn ein Dominostein fällt in England, glaube ich, dass der Dominostein auch nach Deutschland rüberfällt und du dann eigentlich als Club fast keine Chance hast, als den Spieler gehen zu lassen», sagte Bayer Leverkusen Sport-Geschäftsführer Simon Rolfes bei DAZN. Er selbst bekam das in diesem Sommer mehrfach zu spüren: Angeführt von Florian Wirtz (bis zu 150 Millionen Euro zum FC Liverpool) verließ fast eine halbe Startelf den Werksclub Richtung England.
Auch der FC Bayern ist abgehängt
Die Liste der von der Bundesliga in die Premier League gewechselten Spieler ist lang und wurde am Schlusstag des Transferfensters noch länger: Wirtz, Nick Woltemade, Granit Xhaka, Xavi Simons, Hugo Ekitiké, Jeremie Frimpong, Benjamin Sesko, Jamie Gittens, Marvin Duksch, Anton Stach und und und.
Nicht einmal der große FC Bayern, der gerne auf sein prall gefülltes Festgeldkonto verweist, kann da noch mithalten. Oder will es nicht. Die Wunschspieler Wirtz und Woltemade (für bis zu 90 Millionen Euro zu Newcastle United) spielen jetzt in England statt in München. «In der Transferperiode haben wir sehr viele Spieler gehabt, die zu uns wollten, wo aber gewisse Dinge dann eben nicht möglich waren, weil Bayern München eben finanziell sehr weitsichtig agieren möchte», erklärte Sportvorstand Max Eberl.
Spielerfluss auch in die andere Richtung
Bayerns größter Transfer ist 70-Millionen-Euro-Mann Luis Díaz aus Liverpool. Auch andere Bundesligisten wie Borussia Dortmund bedienten sich aus den größtenteils aufgeblähten Kadern der Engländer. Doch zur Wahrheit gehört auch: Weder Díaz noch die Neu-Dortmunder um Jobe Bellingham (von AFC Sunderland) gehören zur absoluten Top-Kategorie.
Für die zweite Offensiv-Verstärkung forderte Bayerns Aufsichtsrat um Uli Hoeneß aus wirtschaftlichen Gründen sogar eine Leihe – und erschwerte damit Eberls Suche. 17 von 20 Premier-League-Clubs hatten laut «transfermarkt.de» vor dem letzten Transfertag mehr Geld ausgegeben als Bayern (rund 72 Millionen Euro).
Die Diskrepanz nimmt deutlich zu
Dass die begehrtesten Spieler dem Lockruf des Geldes folgen und nach England wechseln, ist seit Jahren Realität. Einzig der von Katar finanziell alimentierte französische Champions-League-Gewinner Paris St. Germain und Spaniens Topclub Real Madrid können da punktuell noch mithalten. Der finanziell angeschlagene FC Barcelona schon nicht mehr.
Was in diesem Jahr aber noch stärker auffällt: Selbst kleinere englische Clubs haben auf dem Transfermarkt bessere Chancen als anderswo Vereine mit Europacup-Ambitionen. «Als Aufsteiger in der Premier League hast du ein Budget, das mit dem der Top 8 oder sogar Top 6 in der Bundesliga mithalten kann», sagte Kompany, der 2023 den FC Burnley ins englische Fußball-Oberhaus geführt hatte: «Da bekommst du plötzlich TV-Einnahmen von 100 Millionen – und das als Aufsteiger.» Der Bayern-Coach regte «eine Debatte» der gesamten Bundesliga an, wie man «konkurrenzfähig» bleiben könne.
Das viele Geld aus England nehmen und clever investieren – das ist hierzulande die weitläufigste Meinung dazu. «Die Entwicklung der Bundesliga wird davon abhängen, wie viele Topspieler wir selbst ausbilden», sagte Rolfes: «Das ist der Schlüsselfaktor, um den wirtschaftlichen Vorteil der Premier League auszugleichen.» VfB Stuttgarts Vorstandschef Alexander Wehrle forderte diesbezüglich eine noch größere «Professionalisierung der Nachwuchsleistungszentren». Die Bundesliga warb kürzlich auf Instagram nicht zufällig mit dem Spruch «Wo Diamanten entstehen» für sich.
Obergrenzen – oder doch Abschaffung von 50+1?
Axel Hellmann geht einen Schritt weiter und fordert regulative Maßnahmen in Europa, «die diesen Wahnsinn ein bisschen eingrenzen». Der Vorstandssprecher von Eintracht Frankfurt brachte in der Talkshow «Sky90» die Deckelung von Ablösesummen und Spielergehältern ins Gespräch. Der im nordamerikanischen Profisport bewährte Salary-Cap sei auf Sicht gar «unumgänglich», sagte DFL-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watzke der «Frankfurter Rundschau»: «Ohne Gehaltsobergrenze läuft das alles noch mehr aus dem Ruder. Irgendwann werden sie das in England auch merken. Denn meines Wissens macht dort trotz der riesigen Budgets kaum ein Club Gewinn.»
Nachdem der Investoren-Deal infolge heftiger Proteste gescheitert ist, sucht die Deutsche Fußball Liga (DFL) auf anderen Wegen verstärkt nach Mehreinnahmen. «Wir Deutschen haben ein bisschen geschlafen. Der Deutsche hat es ganz gerne, im eigenen Saft zu schmoren», meinte Watzke.
Doch klar ist: Ein paar Millionen Euro mehr bei der Vermarktung im In- und Ausland werden die Lücke zur Premier League nicht schließen. Einzig der Bruch mit der «50+1»-Regel, die im Kern eine Stimmenmehrheit von Investoren an den Kapitalgesellschaften von Vereinen verhindert, wäre ein wirklicher Gamechanger. Die Stimmen für eine Abschaffung werden lauter, zuletzt plädierte auch Uli Hoeneß erneut dafür. Doch dagegen würde die aktive Fanszene erst recht Sturm laufen, und auch Watzke ist (noch) «nicht bereit, 50+1 dafür zu opfern».